19 Sep Interview von Johannes Fechner mit der Mittelbadischen Presse
„Davon geht die Welt nicht unter“
Sollen Atomkraftwerke angesichts explodierender Energiepreise weiterbetrieben werden und wenn ja, wie lange? Ein Thema, über das der Lahrer SPD-Bundestagsabgeordnete Johannes Fechner im Interview mit der Mittelbadischen Presse gesprochen hat. Veröffentlicht wurde das Interview bereits am 10. September 2022.
Herr Fechner, wir leben in turbulenten Zeiten. Hand aufs Herz: Wie viel Spaß haben Sie noch an der Politik seit der letzten Bundestagswahl?
Es macht keinen Spaß, wenn wir uns die schlimmen Ereignisse in der Ukraine und die Auswirkungen auf die Bürger:innen und Unternehmen in Europa ansehen. Aber ich mache meinen Job nach wie vor sehr gerne. Diesen Herausforderungen muss man sich stellen und darf nicht den Kopf einziehen. Wir sind ins neue Jahr mit einer neuen Regierungskonstellation gegangen und hatten die Erwartung, dass Corona im Frühjahr ausläuft und wir dann genug Geld haben, um die Pflege zu stärken, die Digitalisierung voranzubringen, und dann kam der russische Einmarsch. Das hat die Vorzeichen gewaltig verändert.
Und Bundeskanzler Scholz stand plötzlich in einem ganz anderen Fokus. In der medialen Wahrnehmung gilt er als Zauderer, Habeck und Baerbock als Macher. Was muss die SPD ändern, damit ihr das unverhoffte Wählergeschenk der Kanzlerschaft auch langfristig hilft?
Scholz ist nicht das Zirkuspferd, das Schröder war. Das ist aber auch gut so in diesen Zeiten. Die Sympathien für Merkel haben gezeigt, dass die Menschen keinen Zampano als Kanzler wollen, sondern jemanden, der besonnen und effektiv regiert. Scholz‘ Rolle ist es, die Ampelmeinungen zusammenzuschnüren zu einem Ergebnis. Es ist nicht seine Rolle, jede Woche mit einem neuen Vorschlag verbunden mit einem schönen Fototermin daherzukommen. Das machen die Grünen in ihrer Rolle anders. Mittelfristig werden die Menschen zu schätzen wissen, dass Scholz mit ruhiger Hand die Fäden in der Hand hält.
Agiert Scholz oftmals nicht zu ruhig? Wir erinnern uns an die antisemitischen Äußerungen von Abbas in Berlin oder die Warburg-Affäre, zu der er nichts sagt. Fährt er damit die Kanzlerschaft gar gegen die Wand?
Nein, das ist ausgeschlossen. Der Fehler, dass er Abbas nicht ins Wort gefallen ist, ist ärgerlich. Er selbst ärgert sich darüber am meisten, dass sein Sprecher die Konferenz abgebrochen hat und er ihm nicht ins Wort gefallen ist. Das hätte er ohne Zweifel tun müssen. Ich glaube nicht, dass er Abbas noch einmal einladen wird. Daraus wird er seine Konsequenzen ziehen. Was CumEx und die Warburg-Bank angeht, da hat die Staatsanwaltschaft klargestellt, dass Scholz keinen Einfluss genommen hat.
Bleibt nicht trotzdem etwas hängen?
Ich fürchte, dass es aufgehen könnte für die Union, nach dem Motto, je mehr Dreck man schmeißt, desto eher bleibt auch etwas hängen.
Rumort es deshalb in der SPD-Fraktion im Bundestag?
Rumoren nicht, aber wir wünschen uns, dass schnell klar wird, wie wir die Bürger entlasten. Es ist nicht gut, dass die FDP einen Vorschlag macht, die Grünen den nächsten und dann die SPD. Die Lage ist zu ernst, als dass jede Woche eine neue Sau durchs Dorf getrieben werden kann. Am Wochenende haben wir in der Ampel das dritte Entlastungspaket beschlossen.
Wie sieht das Entlastungspaket aus, wenn es nach Ihnen geht?
Es wird nicht nur bei den Ärmsten und Geringverdienern angesetzt werden. Die extrem hohen Gaspreise müssen auch für Normalverdiener, für Hausbesitzer und Unternehmen geglättet werden. Die zu entlasten, wird richtig teuer werden, ich halte es aber für richtig.
Dr. Johannes Fechner
seit 1990 SPD-Mitglied
ab 1994 im Emmendinger Gemeinderat
19 Jahre aktiv in der Emmendinger Kommunalpolitik
seit 2009 stellvertretender Oberbürgermeister
seit 2009 Mitglied des Emmendinger Kreisrats
Schafft die Politik dadurch nicht ein trügerisches Wohlfühlklima, indem sie alle Schwankungen ausgleicht? Braucht es wirklich diese Entlastungen oder wäre es nicht ehrlicher einzugestehen, dass wir jahrelang über unsere Verhältnisse gelebt haben und Energie teuer ist und noch teurer wird?
Wir können nicht jede Belastung eins zu eins abfedern. Ein Abgeordneter mit seinen hohen Diäten braucht nicht die gleichen Entlastungen wie ein Rentner. Wir werden Wert legen auf eine soziale Staffelung, sodass die Entlastung bei denen ankommt, die sie brauchen. Es gibt aber auch Unternehmen, die Unterstützung brauchen.
Die Kritik wird immer lauter, dass die Zeit der Gießkannenförderung vorbei sein muss. Egal ob Tankrabatt, 9-Euro-Ticket oder Energiegeld.
Das sehe ich auch so. Der Tankrabatt war die Gießkanne pur und aus der Not heraus geboren, schnell eine Sofortmaßnahme zu beschließen. Deshalb ist es richtig, dass wir den Tankrabatt nicht fortführen.
Alternativen für das 9-Euro-Ticket hingegen sind im Gespräch.
Darüber wird jetzt beraten. Wir werden die Ergebnisse in Ruhe auswerten. Es muss eine Alternative geben und der Nahverkehr muss attraktiver werden, allein schon aus Klimaschutzgründen. Wir brauchen einen gut funktionierenden und günstigen ÖPNV als Alternative zum Auto. Da wird es ein Anschlussprojekt geben.
Sind sind häufig mit der Bahn unterwegs. Welche Erfahrungen haben Sie in den vergangenen Wochen gemacht?
Als ich in den Pfingstferien zum Familientreffen über die Alpen geradelt bin, habe ich das hautnah mitbekommen. Wir wollten mit dem Fahrrad nach München und von dort weiter mit dem Zug. Das war ein Kampf um die Fahrradplätze. Wir brauchen mehr Fahrradplätze in den Zügen. Auch bei der Pünktlichkeit und Sauberkeit ist noch Luft nach oben. Ich fand es aber toll, wie viele junge Menschen unterwegs waren und Ausflüge gemacht haben.
Aber muss der Staat ein Freizeitangebot subventionieren? Es sollte doch ursprünglich den Pendlern zugutekommen, die täglich zur Arbeit müssen.
Es gab auch bisher schon ein attraktives ÖPNV-Angebot für Pendler, zum Beispiel die TGOKarte im Ortenaukreis. Die Monatskarte ist bundesweit betrachtet ein gutes Angebot. Ein Anschlussprogramm an das 9-Euro-Ticket kann auch ruhig teurer als 9 Euro sein, ein Monatsticket von 49 Euro wäre immer noch zielführend.
Wobei die Frage ist, ob die überfüllten Züge in der Phase des 9-Euro-Tickets nicht eher abschreckend gewirkt haben.
Die Sorge hatten wir am Anfang auch, dass Leute, die jahrelang mit Bus und Bahn gependelt sind, jetzt ins Auto steigen, weil ihnen die Züge zu voll sind. So war es aber nicht, das zeigen die Rückmeldungen. Ich glaube, dass viele neue Nutzer im positiven Sinne im ÖPNV hängen bleiben.
Der Ausbau der erneuerbaren Energie kommt vor allem in Baden-Württemberg noch immer nicht richtig voran. Was muss sich da ändern?
Das trifft für Baden-Württemberg und Bayern zu, hier sind die Landesregierungen zu langsam. Die Verfahren dauern anders als in nördlichen Bundesländern zu lange. Wir schauen da nicht mehr zu. Deshalb wird es grundlegende Änderungen in der Verwaltungsgerichtsordnung geben, damit die Verfahren schneller gehen. Es wird etwas weniger Rechtsschutz geben, damit Bürger und Umweltverbände weniger Möglichkeiten haben, gegen Energie- oder Verkehrsprojekte vorzugehen.
Von welchem Zeithorizont sprechen wir da?
Die Genehmigung eines Windrads dauert derzeit noch fünf bis sechs Jahre. Das ist viel zu lange. Das Ziel müssen zwei Jahre sein. In Norddeutschland bekommt man das schon hin. Das ist übrigens nicht nur eine Frage des Klimaschutzes, sondern auch des Wirtschaftsstandorts. Intel, die große Chip-Fabrik, ist nach Norddeutschland gegangen, weil ihre Ökobilanz dort mit Strom aus Windkraft besser ausfällt als in Bayern, wo es noch Atomstrom gibt. Es ist ein Standortnachteil für ein Bundesland, wenn es keine erneuerbaren Energien ausbaut.
Nicht nur beim Ausbau der Erneuerbaren, auch beim Ausbau der Rheintalbahn und A5 geht wenig voran. Inzwischen wollen Umweltverbände gegen den geplanten Ausbau klagen. Ist das für Sie noch nachvollziehbar?
Nein, die Verzögerungen sind nicht mehr angemessen. Wir müssen mehr Güterverkehr auf die Schiene bringen und runter von der Autobahn. Wir haben deshalb geregelt, dass die Klagen nicht mehr durch mehrere Instanzen gehen, sondern direkt zum Bundesverwaltungsgericht, das dann über das Planfeststellungsverfahren entscheidet. Die Auskunft der Bahn ist, dass 2035 die Gütergleise liegen und bis 2042 die Altstrecke saniert ist. Das ist immerhin eine Ansage. Für die Gemeinden, die an der Strecke liegen, dauert das aber viel zu lange: Wo verläuft ein Fahrradweg, was passiert mit einer Brücke? Ortsentwicklungen werden über 20 Jahre blockiert. Da müssen wir Dampf machen, dass die Bahn sich schon jetzt dran macht, was wann wo passieren muss.
Blicken wir auf die Energieversorgung: Wie stehen Sie zum Weiterbetrieb der Kernkraftwerke im Land?
Ich bin sehr überrascht, wie offen die Grünen bei dem Thema sind, Atomkraft weiter zu nutzen, obwohl wir in Frankreich sehen, wie fatal es ist, wenn man auf Atomkraft setzt. Dort steht die Hälfte der Kernkraftwerke still, weil es wegen der Hitzewellen nicht genügend Kühlwasser gibt. Davon abgesehen, dass es sauteuer ist, Brennstäbe zu kaufen und die Endlagerung noch immer nicht geklärt ist, haben Kernkraftwerke keine Zukunft. Man kann darüber sprechen, dass die bestehenden Kraftwerke ihre Brennstäbe noch drei oder sechs Monate lang aufbrauchen. Davon geht die Welt nicht unter. Dauerhaft aber wieder auf Atomkraft zu setzen, wie es die CDU will, halte ich für falsch. Wir müssen unsere Energie aus Erneuerbaren beziehen. Das ist machbar.
Auch ohne LNGTerminals?
Wir brauchen die Terminals. Ich sehe die Terminals aber langfristig für den Wasserstoff. Fünf bis zehn Jahre werden sie noch für Flüssiggas genutzt, danach für die Wasserstoffinfrastruktur.
Den wir dann auch wieder importieren, beispielsweise aus Afrika und uns damit abhängig machen.
Die Lehre ist, dass wir uns nicht abhängig machen dürfen von einzelnen Staaten. Als wir die Gasstrategie in den Nullerjahren mit Russland entwickelt haben, gab es Anlass davon auszugehen, dass sich Russland auf den Weg zu einer Demokratie macht.
Energieautarkie, beispielsweise durch die Nutzung der Tiefengeothermie im Oberrheingraben ist für Sie nicht das Ziel?
Die Geothermie hat in Island einen enormen Beitrag für die Energieversorgung. Wir haben leider vor unserer Haustür einige wenige schlechte Erfahrungen gemacht – Stichwort Staufen – wo schlimme Fehler gemacht wurden und die Betreiberfirmen es schlicht verbockt haben. In München und anderswo laufen die Geothermieanlagen sehr gut. Deshalb bin ich offen dafür, was beispielsweise die Badenova im Oberrheingraben macht, wo im engen Austausch mit den Bürgern Geothermie erprobt wird.
Wie zuversichtlich sind Sie, dass die Widerstände gegen Tiefengeothermie gebrochen werden können?
Da bin ich zuversichtlich und gespannt, wie sich der Bau der ersten Anlage der Badenova südlich im Freiburger Raum entwickeln wird.
Text | Mittelbadische Presse
Foto | Büro Johannes Fechner